Ihre Aktionen sind sorgfältig geplant und vorbereitet. Im verhaltenen Zeremoniell sortiert sie die Utensilien und mischt die Farben. Dann aber, beim eigentlichen Malen, wird das Ritual voller
Wucht im rauschhaften Tanz mit der Farbe zelebriert. Sowohl beim Auftragen der Farbe durch Schütten, Spritzen, Stupsen und Streicheln als auch im vollendeten Werk ist diese Energie sichtbar und
spürbar. So geschieht es nicht nur beim öffentlichen Action Painting, auch im Atelier geht sie auf diese Weise vor.
Bei meiner ersten Begegnung mit Carla Chlebarov zu Beginn der 90er Jahre ist sie noch Meisterschülerin in der Klasse von Prof. Franz Bernhard Weißhaar an der Münchner Kunstakademie. Als Medien-
und Performancekünstler bin ich auf Anhieb beeindruckt von dieser Aktionsmalerei, der sie sich unter dem Einfluss des Wiener Aktionisten Hermann Nitsch verschrieben hatte, mit dem sie immer
wieder im Austausch war.
Die umtriebige und vielseitig begabte Künstlerin will aber mehr. Neue Impulse findet sie auf Reisen und bei Auslandsaufenthalten. Im Lauf der Jahre kann sie weitere Kunstformen für sich erobern.
Überall knüpft sie frische Kontakte und versteht es zudem, ihre Kunst erfolgreich zu präsentieren.
Gerne greift sie auf Gestaltungsformen zu, die ihrem impulsiven Wesen entgegenkommen. Oft genug durchbricht sie dabei alle gängigen Formalismen. Kunsthistoriker, die Geister der Kategorisierung,
überrascht sie immer mal wieder, indem sie in ein neu entdecktes Genre eintaucht.
Carla Chlebarov lässt sich ungern einschränken oder etwas vorschreiben. In all ihren Arbeiten vereinigen sich gleichermaßen diszipliniertes Handwerk, rebellischer Nonkonformismus und
überschwänglicher Taumel.
Eine ungebremste Sucht nach Leben und Erleben jenseits aller Normative ist Nährboden jener Gefühlsskala, die sich in ihrem Werk niederschlägt. Höhenflüge und manchmal harte Landungen, krasse
Schwankungen zwischen Euphorie und Erschöpfung tauchen dann auch den Betrachter in ein Wechselbad von Irritation und Bewunderung. Carla Chlebarov vermittelt intensiv Gelebtes in ihrer
Kunst.
Von Beginn an war unsere Zusammenarbeit getragen von der Lust am Experiment und der Suche nach Neuem. Am Ende stand stets die Freude und das Staunen über das Ergebnis: Ein Bild, ein Film, ein
Objekt, ein Text, eine Installation, eine Aktion.
Ulrich Fips Fischer 2022, anläßlich des Katalogs "1990-2022 UNPUBLISHED"