Der Titel der Ausstellung „Nonstop“ könnte auch heißen: „ein ganzes Leben voller Farbe“. 40 Jahre gelebte Malerei, gelebte Farbe, Fläche und Linie. 40 Jahre Abrackern an der
Kunst, bzw. pflügen und umpflügen und nochmal pflügen und säen und den Acker bestellen (bildlich gesprochen) und ernten und wieder säen und rausreißen und zerpflücken und wieder säen und so
weiter. Was wir hier an Werken in dieser Ausstellung begutachten können, ist hochgradig expressive, zumeist ungegenständliche Kunst, ein „Informel“, ein emotionales Abarbeiten, das jedoch nie ins
Dekorative oder Belanglose abgleitet. Intensiv muss es sein und komprimiert und energetisch aufgeladen, auf den Punkt gebracht (bzw. auf die Fläche) - sonst ist es nichts.
Carla Chlebarovs Leben als Malerin, ist ein stetiger Prozess, aber in einem bestimmten Rahmen, den sie sich selbst vorgibt, der aus einer großen Experimentierfreudigkeit und mittlerweile aus
einem riesigen Schatz an Erfahrungen gespeist wird. Es ist ein Arbeiten und Lernen am Medium, am Gestaltungsmittel, an der Farbe, die zur Fläche wird. Es ist ein Lernen am Akt der Malerei, am
Tun, am Schaffensprozess. Natürlich gibt es auch die „Äußere Welt“, die hineinwirkt ins Innere, aber es sind vor allem die stetig weiterentwickelten und verfeinerten Techniken und Prozeduren,
welche den Schaffensprozess bestimmen.
Aktzeichnen ist der Kern, der Ausgangspunkt: das figürliche Zeichnen, dass das Sehen trainiert, die Proportionen und Maßverhältnisse kreiert, die auch in der ungegenständlichen Malerei so
fundamental wichtig sind. Wie stehen die Flächen zueinander, wo kreuzen sie sich, liegen aufeinander, wo braucht es einen Kontrast, einen Kontrapunkt, Wo schneidet die Linie die Fläche und wo
gibt es Ballung, bzw. bewusste Freifläche? Es braucht unzählige Male, ein ausdauerndes und intensives Training/Üben, bis man weiß, wo es richtig ist, wo man aufhören muss, wo Rundung, wo
Verdopplung, wo Reihung oder Eckigkeit gefragt ist. Vieles ist Lernen, aber vieles auch Intuition „Learning by doing“.
Am Anfang war es die Linie, das Skizzenbuch, das Carla Chlebarov immer mit sich herumtrug und in dem sie unzählige Zeichnungen anfertigte. Eine Ausbildung als Schauwerbegestalterin verfeinerte
das Gespür für die Gestaltungsmittel. Eine Assistenz bei den Bavaria Filmstudios schärfte das Sehen und Empfinden von Bewegung, von Sequenzen und Zeit. Weiterbildungen in Keramik und Radierung
sensibilisierte die Künstlerin für Haptik und Form und noch mehr für die Linie. Durch das Studium an der Akademie in München bei u.a. Franz Bernhard Weißhaar kam dann die Fläche dazu, denn es
wurden Wandmalereien gefertigt, Fresko, und das erforderte „Flächenraum“.
Im Nachbarkurs bei Prof. Helmut Sturm, betrieben die Studenten „Art Brut“ und ihr Einfluss auf Carla Chlebarov ist unbestreitbar. Die Gruppe „Cobra“, Asger Jorn oder auch ein Willem de Kooning
hinterließen spürbare Spuren. Wild und gespachtelt, mit dicken Lasuren und mit dem Ende des Pinsels wieder ausgeschabt, so präsentierte sich die Malerei ab den späten achtziger Jahren. Immer mehr
Verdichtung, immer mehr loslassen, immer mehr Spüren und Empfinden und ganz in die Tiefe gehen. Dann kam der Wiener Aktionskünstler Hermann Nitsch, der weitere Spuren hinterließ. Abtauchen in die
Farbe, aber nie Willkür, sondern konzentriertes Loslassen. Wie geht das?
Sie hat es Lernen müssen, das Loslassen, das Hinabtauchen, das Konzentrieren, das Vertrauen in die eigene intuitive Kraft und Energie. Denn Vertrauen und Mut gehört allemal dazu. Vertrauen
in die eigenen Fähigkeiten. Den Ballast von hunderten Jahren Kunstgeschichte, Normen und Regelwerken abschütteln, den Mut haben sich auf sich selbst zu verlassen und sich selbst zu fühlen.
Irgendwann gelingt es und dann lässt es einen nicht mehr los. Ein bestimmtes impulsives Temperament braucht es dabei auch und Willen und Stärke, sowohl mental als auch physisch. Zu guter Letzt
und in diesem Fall fundamental wichtig, ist dann noch ein angeborenes Gespür für Farbe, für Farbkonstellationen, für Farbverläufe, für die Orchestrierung von Farbe und vor allem für die
Substanzhaftigkeit der Farbe. Zu viel geht nicht, aber auch nicht zu wenig. Wieviel Malmittel mische ich bei, um die richtige Konsistenz zu bekommen? Wie stehen die Farben
zueinander, nebeneinander, übereinander ? Ein Maler ist immer ein Alchemist, die Mischverhältnisse von Farben miteinander und von Farbe und Malmittel sind essenziell.
So sind es zahllose Eigenschaften und Elemente, ein jahrzehntelanges Abarbeiten am Medium, die zusammenkommen müssen, um diese Bilder hier zu kreieren.
Fast 60 Arbeiten aus den letzten 20 Jahren zeigt diese Ausstellung. Dabei ist der Künstlerin wichtig, dass die Besucher die hohe Variabilität des Oeuvres erleben.
Es gibt Arbeiten, in der das Actionpainting mehr im Vordergrund steht, in der es ein wildes „Loslassen“ gibt ( so z.B. oben im 1. Stock an der Hauptwand gegenüber der Treppe). In Wolke 7 (so der
Titel) taucht der Betrachter ganz tief ab in die Farbmaterie und wird in den Strudel der Farbwelt hineingezogen. Es scheint so, als ob die Farbe sich mit ungezüngelter Kraft, gleich einem Vulkan,
ihren Weg nach oben bahnt.
Dann gibt es Werke, wie z.B. das Bild mit dem Titel „Milkiway“, das zwar auch aus unzähligen Farbschichten besteht, das aber mehr in der Fläche bleibt und dessen Substanz, nämlich die
horizontalen Verwischungen, die aufgetragenen gelben oder weißen Farbflächen und Punkte in einem ausgewogenen Gleichgewicht halten.
In anderen Bildern dominiert mehr die ruhige Farbflächenmalerei, die weniger von der spontanen Geste, als vielmehr von der Spannung lebt, die durch aneinandergrenzende, unterschiedlich große
Farbflächen verursacht wird, so bspw. beim Bild „Barbapapa 1“.
Da wo die Schichtungen, so scheint es, sparsamer sind, so bei den „Freedom“ Bildern im Obergeschoss und damit einzelne Flächen und Linien mehr Platz erhalten, erzeugen sie eher eine lyrische und
poetische Wirkung. Hier ist das Zusammenspiel von Fläche, Linie und Farbe viel sanfter und lässt für den Betrachter mehr Spielraum/Zeit beim Anschauen. In den „wilderen“ Bildern, bleibt kaum Zeit
zum „Atemholen“. Die Malerei konfrontiert den Betrachter mit ihrer fundamentalen Wucht.
Neueren Datums sind die Werke mit Leuchtfarben, die wir hier rechts an den Wänden sehen. Blasenartige amorphe Formen in Pink, Orange oder Neongelb sind nebeneinandergesetzt, überschwappen sich
oder stoßen aneinander. Die Leuchtkraft der Farben wird durch die Zueinanderordnung verstärkt. Zwischendrin gibt es jedoch eine dünne Schicht oder etwas Geträufel eines schmutzigen Brauns, welche
die zu starke Harmonie bewusst stören und kontrastieren. „Zu schön darf es dann bitte auch nicht sein“.
Die Aktzeichnungen und einige Monotypien verfeinern die große Bandbreite der Künstlerin. Diese finden sich hier rechts im Nebenraum. Die Akte sind meist mit Tusche und einem Schlepperpinsel
gemalt, der großzügiges Arbeiten zulässt und Kleinteilerei verhindert. Bewusst und kraftvoll gesetzte Linien geben den Körpern eine Eindringlichkeit und Dynamik. Bei den Monotypien wird Farbe auf
eine Kupferplatte aufgetragen und mit dem Pinselende oder dem Spachtel verwischt. Dann wird gedruckt. Hier wird die Farbigkeit zurückgenommen und Linie und Fläche, Klare und verwischte Formen,
Oben und Unten miteinander in Kontrast gebracht. Schwarz/Weiß und Grau oder Ocker/Orange, und grau mit schwarzer Linie gehen miteinander ins Gespräch. Züngelndes und Schweres, deckendes und
lasierendes wechseln einander ab.
In den sogenannten Teststreifen (die wir im Obergeschoss sehen) verstärken oder beruhigen monochrome horizontale Farbfelder die wie „Intarsien“ eingelegte „wilde Farberuption“. Dabei wird eine
Grundfarbe der „älteren“ Gemälde meist aufgegriffen und im „außen“ sensibilisiert. So kann sich der Betrachter ausruhen und sich dem sinnlichen Farbgetümmel nochmalig aussetzen.
Ich habe jetzt vor allem über die „Form“ der Malerei gesprochen, aber gibt es auch erkennbare „figurative“ Inhalte in dieser euphorischen und atemlosen Malerei? Die gibt es bestimmt, man könnte
Blumen, Landschaften, Vögel, Schreiende Gesichter, Libellen, Insekten, herausgestreckte Hände und Vieles mehr in die Bilder hineinlesen, aber das ist irrelevant. Denn die Werke feiern den Akt des
Malens, den Gestaltungsprozess an sich, die Leidenschaft mit Farbe, Fläche, Linie, Raum und Form immer wieder aufs Neue Kunst zu erschaffen.
Nonstop – ob damit der nicht weniger werdende Schaffensimpuls gemeint ist oder die Zeit des Malakts an sich, der ausgelebte Energie und Dynamik ohne Pause auf die Leinwand bringt,
das bleibt dahin gestellt. Wichtig ist, dass es „Nonstop“ weitergeht und die Kreativität immer wieder neue Impulse bekommt, um ausgelebt zu werden. Das wünsche ich der Künstlerin und hoffe, sie,
liebe Besucher, nehmen die ungeheure Kraft und vitale Lebensfreude, die von diesen Werken ausgehen, mit in ihren Alltag.
Vielen Dank fürs Zuhören.
Ulrike Niederhofer, 19.1.2024