Carla Chlebarov

Jung - Wild - Talentiert

Eine Begegnung mit ihren Bildern beeindruckt. Sie sind eine wahre Augenweide in Koloratur und origineller Figürlichkeit. Die großen, informellen Ölbilder springen sofort ins Auge, lassen keinen unbehelligt. Mit Elan und Energie wurden hier Farbschichten bearbeitet, Bilder förmlich gebaut. Ihre großformatigen Gemälde sind Ausdruck momentaner Stimmungen, spontan übertragen in Material und Bewegungen. Carla hat keine Angst vor möglichen Disharmonien der Farben und außergewöhnlichen Kompositionen.

Diese Künstlerin, die offensichtlich alles kann, eine beliebige Vielzahl von Malweisen souverän beherrscht, will aber sichtbar mit alldem mehr. Ihre brillant gesteuerten Bilder erschöpfen sich eben nicht in dem, was sie vorführen. Sie sind nicht nur identisch mit ihrer Ästhetik, sondern schreien beinahe nach einer weiteren Übertreibung der Künstlerin: nach noch mehr Farbe, noch mehr Ausdruck.

Solch expressive Leidenschaften bedient Carla Chlebarov mit regelmäßigen Malaktionen. Dabei finden derart lustvolle und orgiastische Auseinandersetzungen mit Farbe und Materialien statt, daß dem Zuschauer anzuraten ist, auf wasserfeste Kleidung zu achten. Unberührt läßt eine derartige rituelle Farbschüttung – Action Painting – niemand. Während manche Betrachter aggressiv, gehässig oder resignierend das so entstandene Bild ablehnen, schwärmen andere euphorisch heiter über die Schönheit der Harmonien und die Kühnheit der Dissonanzen. Wenn dem assoziativen Gestaltsuchen in abstrakten Kunstwerken alle Hoffnung, Erkennbares herauszufinden, geraubt ist, sind extreme Reaktionen vorprogrammiert.

Was sich in Carla Chlebarovs Bildern zeigt, sind Spuren von Malaktionen, in denen Regie, Spontaneität, Experiment, Planung und Zufall bewußt eingesetzt werden. Das Zielobjekt ist nicht unbedingt das fertige Produkt, sondern häufig der Prozeß oder auch das, was mit dem Bild hinterher geschieht.

Während ihrer Studienzeit bemalte Carla mit einem Kommilitonen mittels Besen, Schrubber und großen Farbeimern circa 100 qm Nessel mit gelben, roten und blauen Zeichen. Damit wurden die Glaswände einer Galerie im Münchner U-Bahnbereich verhängt: Eine Protestaktion gegen eine Gruppe von Professoren, die jene für Studenten vorgesehenen Ausstellungsräume nur für eigene Ausstellungen nutzen wollten. Zu dieser Protestaktion gehörte sowohl das Malen der Megabilder im Foyer der Akademie als auch die kommentarlose Verhüllung der U-Bahn-Galerie.

Nicht immer will die Künstlerin den Betrachter ihrer Bilder und Aktionen zu extremen Reaktionen provozieren. Es gibt viele eindrucksvolle Bilder, in denen übereinander-liegende Ablagerungsschichten von Farben, Flächenformen, skriptiven Zeichen, zielbewußt aufgesetzten Farbtupfern und Pinselschlägen das Erlebnis einer bunten Blumenwiese assoziieren.

Carla arbeitet in den Domagk-Ateliers in München, auch „Kolonie der Kreativen“ genannt. Als die Soldaten abzogen, kamen die Künstler - und eine der ersten war Carla Chlebarov.

Zu Beginn wurden einzelne Räume vom Bundesvermögensamt angemietet, dann ganze Häuser als Ateliers genutzt. Ein Behörden-Marathon begann, als 1994 erste öffentliche Ausstellungen und Aktionen geplant wurden. Die Künstler organisierten sich und gründeten den VAK (Verein für Atelierförderung und Kunstveranstaltungen e.V.). Inzwischen arbeiten in den sechs Häusern der alten Kaserne über 80 Künstler. Hinter jeder Tür entsteht Kreatives: Malerei, Bildhauerei, Grafik, Fotografie, Videoarbeiten, Aktionen und Installationen. Zeigten in der ersten Ausstellung etwa 30 Künstlerinnen und Künstler ihre Räume und Arbeiten einem interessierten Publikum, kann der Besucher sich heute bereits in 80 Ateliers umsehen.

So auch im Atelier von Carla Chlebarov. Power hat sie, diese Frau. In einem hellen, großen Raum mit kreativem Chaos, stapeln sich die farbenfrohen Objekte der jungen Malerin. Sie hat nicht „aufgeräumt“, bietet einen Einblick in ihre Arbeitsatmosphäre, geht freundlich und sanft mit den Fragen der neugierigen Besucher um. Die Künstlerin wirkt sehr präsent, beinahe überwältigend und gleichzeitig zart, empfindsam. Mit ernsthafter Aufmerksamkeit beobachtet sie ihre Mitmenschen. Kein Wunder, daß manche aus der Künstlerfamilie der Domagk-Ateliers sie die „Mutter der Kompanie“ nennen. So widersprüchlich ihre großen, kräftigen Bilder neben den sensiblen Zeichnungen oder bunten Tellern und zarten Laserobjekten wirken, so überraschend ist die Künstlerin in ihrem persönlichen Auftritt. Mal ist sie laut, schrill und kunterbunt in ihrem Auftritt, dann wieder warm, weich und sehr verletzlich. Sie bewegt sich gern raumgreifend und burschikos. Gedankenverloren fährt sie sich oft mit farbverschmierten Fingern durchs halblange Haar, streicht eine Strähne aus dem Gesicht und nimmt damit die Grundtöne ihrer Bilder an.

Wenn Carla sich empört oder angegriffen fühlt, möchte man nicht der Grund für ihre Emotionen sein. Sie ist stark im Ausdruck – und das nicht nur auf der Leinwand: „Kunst erlaubt wenig Kompromisse und kostet mich manchmal soviel Kraft, daß für Nettigkeiten kein Raum mehr bleibt.“ Da fällt die Zuordnung in feminine Kategorien nicht leicht, auch wenn sie als Tochter eines Medizinprofessors aus einem sicherlich gutbürgerlich zu nennendem Elternhaus kommt.

Vollends weigert sich Carla, ihre Arbeiten mit irgendwelchen „-ismen“ zu belegen. Die zarten Bilder in graphischer Technik oder gar die neuesten Burned Graphics zeigen künstlerischen Explorationen, neue Praktiken und Wege.

Sie entdeckt gerade die Methode der rechnergesteuerten Laserbeschriftung für die bildende Kunst. Die seit einem Jahrzehnt industriell eingesetzte Lasertechnik erzeugt filigrane Brandzeichnungen. Ein Rechner steuert einen Laserstrahl und trägt von den verschiedensten Materialien beliebig starke Schichten ab. Darstellungen lassen sich auf dem Material „einbrennen“. Mit sensibler Steuerung und großer Präzision trägt der Laser feinste Schichten ab. Damit erzeugt Carla auf Papier ein Relief mit Farbnuancen und Vertiefungen, die lichtdurchlässig wie Pergament sind. Durch die Auswahlmöglichkeit der Materialien, die Genauigkeit der Apparatur und die Wahl der hochtechnologischen Umsetzungen, beschreitet Carla einen zukunfts-weisenden Weg in der Synthese aus Kunst und Technik.

Neben ihrem Studium bei Prof. Franz Bernhard Weißhaar an der Akademie der Bildenden Künste in München, nahm Carla Chlebarov als Studentin an Aktionen von Prof. Hermann Nitsch teil. Heute ist sie während der jährlich stattfindenden Internationalen Sommerakademie in Salzburg seine Assistentin.

Die Carla ist natürlich längst keine Unbekannte mehr. Davon zeugen nicht nur die vielen Einzelausstellungen, die Würdigungen durch Kunstkenner und -sammler, sondern auch die große Zahl verkaufter Bilder. Werke von ihr befinden sich in internationalem Privatbesitz, im Max-Planck-Institut und in der Bayerischen Staatsgalerie Moderner Kunst München.

Antje Schwarzer (freie Journalistin der Süddeutschen Zeitung), 1998