... Ich möchte gerne nochmals auf die eingangs angedeutete Theorie über die "message" zurückkommen.
Die Botschaft eines Bildes, das sollten wir bedenken, steckt nicht allein im dargestellten Gegenstand, also in der Bilderzählung. Das Medium, das uns die Botschaft vermittelt oder verdeutlicht,
kann auch der Ort sein, an dem das Bild montiert ist: ein Museum, die Wohnstube, das Rathaus, eine Kirche, ein Bahnhof. Weiterhin kann der Rahmen über Legitimation, Anspruch oder Bedeutsamkeit
eines Bildes informieren. Last not least steckt der Kern der Botschaft vielleicht in der Malweise oder im Entstehungsprozeß des Bildwerks. "The medium is the message" heißt das Zauberwort: Der
Prozeß des Bildschaffens enthält auch die Botschaft des Bildes. Solches bedenkend kommen wir ehestens an die Bilder von Carla Chlebarov heran, nähern wir uns dem, was sie uns sagen will.
Die Bildertitel sind meist unbekümmert hingeschrieben, sind Unterscheidungsbenennungen, aber nicht unbedingt Wegweiser. Was hilft schon "Meer, Sand und so" (Nr. 02), - "Aquamarin" (Nr. 11)
bedeutet einen Edelstein als Äquivalent der in dem Bild dominierenden Farbe, und "o. T.", ohne Titel (Nr. 13), will schließlich sagen, daß die Sinnfindung dem Beschauer selbst überlassen bleibt,
was immer er mit der farbbedeckten Leinwand anstellen will.
Was sich in Carla Chlebarovs Bildern zeigt, sind Spuren von Malaktionen, in deren Regie Spontaneität, Experiment, Planung und Zufall bewußt eingesetzt werden. Dabei ist das Zielobjekt nicht
unbedingt das fertige Bild, sondern häufig der Prozeß oder auch das, was mit dem Produkt, sprich Bild oder Gebilde, hinterher passiert. So bemalte Carla Chlebarov zusammen mit einem Mitstudenten
während ihrer Studienzeit einmal mittels Besen, Schrubber und großen Farbeimern ca. 100 qm Nessel mit gelben, roten und blauen Zeichen, um damit die Glaswände einer Galerie im U-Bahnbereich zu
verhängen. Das war eine Protestaktion gegen eine Gruppe von Professoren, die für Studenten vorgesehene Ausstellungsräume für eigene Ausstellungen nutzten. Zur Protestaktion gehörte sowohl das
Malen dieser Megabilder im Foyer der Akademie als auch die Verhüllung der U-Bahn-Galerie - ohne daß auf Transparenten eine Verbalisierung des Anliegens geschah. Das ganze war ein wütendes Ritual,
das sich unter hohem physischem Kraftaufwand auch wegen der Geschwindigkeit des Ablaufs vollzog.
Nicht jedes Bild von Carla Chlebarov ist ein Protestinstrument. Es gibt von ihr auch viele Bilder, in denen die übereinandergelegten Ablagerungsschichten von Flächenformen, skriptiven Zeichen und
zielbewußt aufgesetzten Farbtupfern und Pinselschlägen das Erlebnis einer dichten Blumenwiese evozieren wie die Bilder Augenweide I und II (Nrn. 06 und 07). Die ästhetisch-meditative
Erscheinungsform dieser Bilder ist jedoch nicht das Ergebnis intelektuell-logischen Planens, sondern das Erzeugnis von Malvorgängen, die etwas mit Kochexperiment, Farberprobung und Kultritual in
sich vereinigen. Dabei gehört zum Bereich des Rituellen das Auskratzen oder mit Kreiden Umfärben von vorher sanft oder gewalttätig gesetzten Flächenformen. Nicht umsonst war Carla Chlebarov neben
ihrem Studium an der Akademie der Bildenden Künste in München in meiner Klasse auch zeitweise als Studentin und Helferin bei Aktionen von Hermann Nitsch beteiligt...
Laudatio von Prof. Franz Bernhard Weißhaar, 1997